10.6094/UNIFR/9610
Raden, Laura Elisabeth
Was prüft der Script Concordance Test? : eine qualitative Untersuchung in der Zahnmedizin
What is assessed by the script concordance test? : a qualitative study in dentistry
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
2014
610
Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie
ger
urn:nbn:de:bsz:25-opus-96106
410960527
1114995800
10.6094/UNIFR/9610
Eine Kernkompetenz des medizinischen Handelns stellt die Entscheidungsfindung, das sogenannte clinical reasoning, dar. Diese umfasst den Prozess, der sich von der Begegnung mit einem Patientenfall bis zur Diagnose- und Behandlungsentscheidung abspielt. Um die Fähigkeit des clinical reasonings zu messen, wurde in der Medizin eine neue Klausurform entwickelt: der script concordance test (SCT) (Charlin et al., 2000). Diesen übertrug Kapaun (2013) auf die Zahnmedizin. Es stellte sich heraus, dass der SCT zwischen verschiedenen Expertiseleveln unterscheidet und die Ergebnisse nicht mit multiple choice Klausuren korrelieren (Kapaun, 2013).
Dies warf folgende, in dieser Studie zu untersuchenden, Fragen auf: Was misst der SCT? Worauf basieren die Denkprozesse des Zahnarztes? Unterscheiden sie sich von denen in der Humanmedizin? Bestätigen sich Unterschiede bei den Denkprozessen abhängig vom Expertiselevel?
Um dies zu untersuchen, wurde eine qualitative Studie in Form eines semistrukturierten Interviews durchgeführt. Dies bestand aus fünf SCT-Fragen, die die Probanden laut denkend bearbeiten sollten. Die Probanden wurden gemäß ihrer klinischen Erfahrung ausgesucht (3 Experten mit bis zu sieben Jahren Berufserfahrung; 4 fortgeschrittene Studierende, kurz vor ihrem Examen stehend; 4 Novizen, Studierende zu Beginn ihrer klinischen Laufbahn). Die Interviews wurden aufgenommen, wörtlich transkribiert und computergestützt, in Anlehnung an die grounded theory, ausgewertet.
Die Analyse zeigte, dass die einzelnen Expertisegruppen sich verschiedener Strategien bedienten, wobei die Übergänge fließend waren. Die Denkprozesse der Novizen waren von Unsicherheit, Unwissen und im Zusammenhang mit dem neuartigen Klausurformat des SCTs mit kognitiver Überforderung geprägt. Sie sammelten Informationen und versuchten zu schließen, was oft misslang, da ihnen trotz biomedizinischen Wissens die klinischen Bilder fehlten. Mit zunehmendem Expertiselevel wurde vermehrt Wissen aus der Erfahrung einbezogen und darauf basierende Muster erkannt. Die Denkprozesse verliefen effizienter und gezielter und die Probanden schienen kontextabhängig Wissensnetzwerke wie zum Beispiel Skripte und hypothetikodeduktive Ansätze zu besitzen.
Es stellte sich heraus, dass viele, nicht immer klar zu trennende, in der human- und zahnmedizinischen Literatur beschriebene Phänomene am clinical reasoning beteiligt sind. Dabei liegt der Unterschied zwischen den beiden Fachrichtungen in der stärkeren Fokussierung auf der Behandlungsentscheidung in der Zahnmedizin. Bei der Bearbeitung des SCTs und der damit qualitativ untersuchten klinischen Entscheidungsfindung spielten die klinische Erfahrung und gezieltes, strukturiertes Schließen eine zentrale Rolle. In wie weit der SCT dies auch misst, bleibt noch offen. Weitere auch quantitativ ausgerichtete Forschungsansätze müssen diesen Zusammenhang noch untersuchen, bevor der SCT als valides Prüfungsinstrument in der Zahnmedizin eingesetzt werden kann.