10.20379/DBVID-0887
Günter Grass Stiftung - Medienarchiv
Offizieller Arbeitsbeginn der Bundeskulturstiftung (Stiftung) in Halle (Sachsen-Anhalt)
MDR AKTUELL 19.30 Uhr F: 02/8600, BTR 10, Stiftung - Kulturstiftung
Günter Grass Stiftung Bremen - Medienarchiv
2016
Günter Grass Stiftung Bremen - Medienarchiv
Vom Mut, dicke Bretter zu bohren - Kulturstiftung des Bundes nimmt offiziell Arbeit auf
Halle. Zum Arbeitsbeginn der neuen Bundeskulturstiftung hat Günter Grass eine multikulturelle Perspektive der neuen Einrichtung gefordert. Die Stiftung solle allen in den Grenzen Deutschlands lebenden Menschen gewidmet sein, gleich welcher Herkunft, welcher Hautfarbe oder welchen Glaubens, sagte der Literatur-Nobelpreisträger in seiner Festrede gestern in Halle. Der Begriff Nation müsse heute in Deutschland weiträumiger als je zuvor gefasst werden. Sie umfasse viele fremde Kulturen, "die uns bereichern können, wenn wir bereit sind, von unseren Ängsten Abstand zu nehmen".
Zuwachs wahrnehmen, fördern und schützen
Die Kulturstiftung des Bundes nahm mit einer konstituierenden Sitzung des Stiftungsrates offiziell ihre Arbeit auf. Dem Stiftungsrat unter Vorsitz von Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (SPD) gehören 14 Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur und Politik an. Grass zeigte sich zufrieden, dass die von ihm schon vor 30 Jahren angeregte Nationalstiftung nun Wirklichkeit geworden ist. Es werde die Aufgabe der Stiftung sein, den kulturellen Zuwachs wahrzunehmen, zu fördern und zu schützen.
Der Schriftsteller würdigte das Engagement des früheren Kulturstaatsministers Michael Naumann und seines Nachfolgers Julian Nida-Rümelin für die Stiftungsgründung, „die keine Furcht hatten, dicke Bretter zu bohren“. Er hoffe, dass die immer noch abseits stehenden Länder doch noch mit der Bundeskulturstiftung zusammengehen werden.
Die Bundeskulturstiftung wird von einer Doppelspitze mit der Kunsthistorikerin Hortensia Völckers und dem Kulturpolitiker Alexander Farenholtz geleitet. Die Stiftung werde solche Projekte fördern, die innerhalb der Zuständigkeit des Bundes liegen, sagte Nida-Rümelin. Der Stiftungsrat habe beschlossen, die Arbeit zunächst auf vier Schwerpunkte zu richten. Dies seien die Themen Kunst und Stadt, kulturelle Aspekte der deutschen Einigung, Kunst in Osteuropa sowie der 11. September 2001 – der Tag der Terroranschläge in den USA - als kulturelle Herausforderung.
Hortensia Völckers teilte mit, es seien bereits acht Projekte genehmigt worden, die von der Stiftung gefördert werden sollen. Als ein Beispiel nannte Völckers die Beteiligung der Bundeskulturstiftung am Ankauf der privaten Kunstsammlung Marzona für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Nida-Rümelin sagte, das Fördervolumen für die acht Projekte liege bei zwei Millionen Euro.
Die Bundeskulturstiftung wurde als Zuwendungsstiftung mit einer verbindlichen Finanzzusage bis 2004 gegründet. Im ersten Jahr verfügt sie über Fördermittel von 12,8 Millionen Euro, im Jahr 2003 über 25,6 Millionen Euro und 2004 über 38,3 Millionen Euro. Die Länder sind an der Kulturstiftung des Bundes vorerst nicht beteiligt. Nach einer grundsätzlichen Klärung der Bund-Länder-Kompetenzen im Kulturbereich ist es Ziel, die Kulturstiftungen des Bundes und der Länder zusammenzuführen. (dpa)
Auszug aus der Grass-Rede:
"Deutsche Vergangenheit bedeutet: Schande und Glanz, Verbrechen, die uns nach wie vor in Verantwortung nehmen, und kulturelle Überlieferungen, die den uns anhängenden Zivilisationsbruch dennoch überdauert haben. Zur deutschen Vergangenheit gehört aber auch der unwiederbringliche Verlust von Provinzen und Städten. Ich spreche von Ostpreußen, Hinterpommern, Schlesien, von Danzig und Breslau.
Wie schon zu Beginn der siebziger Jahre bin ich auch heute der Meinung, daß wir zwar Land verloren haben, Vertreibung erleiden mußten, aber nirgendwo, in keinem Potsdamer Abkommen, steht geschrieben, daß die kulturelle Substanz dieser Provinzen und Städte in Vergessenheit geraten muß...."
Im Anschluß distanziert sich Grass ganz schroff von den Vertriebenenverbänden.
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